verdankt seine Existenz einem beharrlichen Utopisten
Aus : „Die Zeit“
1997 Nr. 6
siehe Beitrag Nr. 77,
Nr. 82, Nr. 86, Nr. 94 und Nr. 99
….Fünf Jahre später sind die Pinien schon weithin sichtbar,
die Zufahrt ist befestigt, ein neues Hotel steht am Meer, eine eigene
Baumschule.
Sogar das Fundament für eine künftige Grundschule existiert. Und
das alte Haus der Familie ist nun bereits so dicht von Bäumen umstanden, dass
die Lichtzeichen des Leuchtturms es kaum noch erreichen.
Erste Grundstücke werden billig an interessierte Siedler
verkauft. Bald gibt es einen Krämerladen für die achtzig Pioniere, die hier in
den Dünen ein neues Leben beginnen, ein Leben, das sich aus Werten wie Natur,
Einfachheit, Nachbarschaftshilfe begründet. Als dann auch noch ein Lehrer ins
Dorf kommt, den Carlos Gesell aus seiner eigenen Tasche bezahlt, ist die
Zukunft der kleinen Siedlung gesichert.
Ab den fünfziger Jahren verkehrt ein Omnibus von der nahe
gelegenen Eisenbahnstation nach Villa Gesell, wie die Stadt jetzt abgekürzt
heißt. Ansonsten ist Don Carlos seinen Idealen treu geblieben: Im Ort herrscht
Rauchverbot, Alkohol ist nur an Festtagen erlaubt, das Glücksspiel verboten.
Die einzige Sucht, die der Gründervater sich gestattet, ist die Arbeitswut: Von
sechs Uhr früh bis tief in die Nacht gibt er alles, tut er alles für seine
Stadt.
Heute noch zeigt sich, dass Villa Gesell einmal in
funktionelle Zonen unterteilt worden ist: Im Barrio Norte, wo die Villen im
europäischen Stil wie nostalgische Reminiszenzen wirken, gibt es kaum ein
Geschäft. Noch immer sind die meisten Läden entlang der Avenida 3 angesiedelt,
der von Carlos Gesell geschaffenen Einkaufsstraße. Im pittoresken Stadtteil
Pinar liegen Blumengärten und Parks, Tennisplätze und Kleinkunstbühnen.
Künstler kommen seit den sechziger Jahren nach Villa Gesell.
Der weltberühmte Geiger Ljerko Spiller gibt Mondscheinkonzerte im Amphitheater,
wo heute während der Saison Chöre aus ganz Argentinien singen. Die Photographin
Matilde Böhm, die das Entstehen des Ortes dokumentiert, eröffnet einen eigenen
Laden. Und Don Carlos beginnt im Winter ein kleines Kino zu betreiben, das nur
aus ihm und seinem Projektor besteht. Er will lediglich instruktive
Dokumentarfilme zeigen, ein ehrgeiziges Projekt, das gegen die kommerzielle
Konkurrenz natürlich nicht lange bestehen kann.
Alles in allem jedoch kann Don Carlos zufrieden sein: Die
Stadt hat Charakter. Das liberale Bürgertum weiß es zu schätzen; man gibt sich
weltoffen, kulturfreundlich, sportbegeistert. Carlos Gesell, der Träumer und
Erfinder, sieht sein Utopia entstehen.
Voller Begeisterung entwirft er eine
Mole, die heute noch weit hinaus in den Atlantik ragt. Gestützt von fünfzehn
Meter hohen Betonträgern, streckt sie sich auf 150 Meter Länge ins offene Meer.
Dort zu sitzen kann ein Erlebnis sein: Tief unten peitscht die Gischt gegen die
Pfeiler, während weit draußen die Sonne im Meer aufgeht - und die Angler bei
einem starken Kaffee von ihrem letzten großen Fang schwärmen. Einmal einen
Schnapperfisch zu fangen, das ist der Traum eines jeden……
Fortsetzung und Ende folgt
erste Grundschule |
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